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Begriff Wissen

Wissen

  • Version 1.0
  • Veröffentlicht Freitag, 6. Januar 2017
  • Zuletzt bearbeitet Dienstag, 10. Oktober 2017

Zum Wort

Wissen ist ein Begriff, der sowohl in Philosophie und Wissenschaftstheorie, als auch in verschiedenen Sozial- und Kulturwissenschaften eine maßgebliche Rolle spielt. Die philosophische Tradition weist eine Kontinuität von gr. epistēmē und lat. scientia zu engl. knowledgescience, frz. savoirscience und dt. WissenWissenschaft auf.

Diskurse und Kontexte

1. Traditioneller philosophischer Diskurs

In philosophischer Tradition ist ein zentrales Motiv des Wortgebrauchs das der Erkenntnissicherung. PLATON und ARISTOTELES arbeiten dazu die Unterscheidung zwischen epistēmē (Wissen) einerseits, und Überzeugung und Meinung (pístisdóxa) andererseits heraus: Während Überzeugungen und Meinungen falsch sein können, zeichne sich Wissen durch Passung an die Ordnung des Seienden aus. Dieser Aspekt des Begriffs ‘Wissen’ ist in der Geschichte der Philosophie kontinuierlich tradiert worden und mündete in der kanonischen Formel, Wissen sei ‘gerechtfertigte, wahre Überzeugung’. Andere Aspekte der Wissensproblematik unterlagen dagegen tiefgreifenden Transformationen. So war z. B. der griechische Begriff der epistēmē mit der Annahme einer unveränderlichen Ordnung des Seienden verbunden. In modernen Wissenstheorien wurde dagegen der Unterschied zwischen ‘wissen’ einerseits und ‘meinen’, ‘glauben’ etc. andererseits subjekttheoretisch, logisch oder sprachpragmatisch gedeutet.

Quellen
  • ARISTOTELES. Nikomachische Ethik, Buch VI, Kap. 3 u. 4.
  • PLATON. Gorgias 454b.

2. Diskurs der Geschichts‑, Sozial- und Kulturwissenschaften

Mit dem Entstehen von Geschichts‑, Sozial- und Kulturwissenschaften im 19. Jahrhundert trat als weiteres Begriffsmotiv die Einsicht in die historische und soziale Rolle von Wissen hervor. Charakteristisch für diese Diskurse ist, dass sie das Handeln und Denken von Menschen in Hinsicht auf deren kollektive Konstitution und Relevanz betrachten: welche Praktiken, Normen, Überzeugungen, Denkformen und Symbolismen lassen sich in einer Kultur / Gesellschaft/ Epoche beobachten, welche charakterisieren sie und welche taugen als Mittel der Erklärung, wenn es darum geht, gesellschaftliche Transformationen oder auch das Verhalten bestimmter Gesellschaftsteile oder ‑mitglieder zu beschreiben. Das bedeutet zum einen, dass Wissen somit selbst zu einem wissenschaftlichen Gegenstand wird, der beobachtet und sozialräumlich verortet werden kann, zum anderen, dass Wissen in seiner Funktion für die Konstitution von Kollektiven und Gesellschaften in den Blick genommen wird. Eine zentrale Rolle in diesem Sinne spielt der Wissensbegriff in der Wissenssoziologie (SCHELER; MANNHEIM), in strukturalistischen und poststrukturalistischen Ansätzen (LÉVI-STRAUSS; FOUCAULT) und in der Epistemologie der Naturwissenschaften (FLECK; KUHN; CANGUILHEM).

Quelle
  • MANNHEIM, Karl. Ideologie und Utopie. Frankfurt/M. 1985 [1929].

3. Sprachphilosophischer Diskurs des 20. Jahrhunderts

Im sprachphilosophischen Diskurs um common sense, Alltagswissen und gewöhnliche Sprache (ordinary language) des frühen 20. Jahrhunderts wurde die Unterscheidung von praktischem und theoretischem Wissen zu einem prominenten Thema. Als Vorläufer dieser Einteilung wird häufig die aristotelische Distinktion von techné (Könnerschaft) und epistēmē (Wissen) angeführt. Der Aspekt der Könnerschaft und Fertigkeit (techné) wurde allerdings – in der Übersetzung mit ars – zu einem Regelwissen umgedeutet und kam erst mit den intellektualismus-kritischen Überlegungen der frühen Sprachphilosophie wieder zu Geltung. Ludwig WITTGENSTEIN verhalf dem Gedanken einer praktischen Regelkompetenz zu Geltung und Gilbert RYLE prägte die Unterscheidung von knowing how und knowing that. Mit Michael POLANYIES Einführung des Begriffs tacit knowledge fand das Konzept eines nicht-ausdrücklichen, körperlichen Wissens Eingang in die Kultur- und Wissenschaftstheorie. Im Verbund mit phänomenologischen Ansätzen, die den Mensch-Welt-Bezug stets schon als leibliche und auch material strukturierte Relation auffassen, haben in der jüngeren Wissenschafts- und Techniktheorie eine Vielzahl von Ansätzen den Begriff des Wissens als eine Kompetenz verstanden, die sich nicht nur im Intellekt, sondern ebenso im Handeln, im Herstellen und auch in den hergestellten Dingen manifestiert.

Quellen
  • POLANYI, Michael. Implizites Wissen. Frankfurt/M. 1985 [1966].
  • RYLE, Gilbert. Der Begriff des Geistes. Stuttgart 1969.

Literatur zum Begriff

  • ICHIKAWA, Jonathan Jenkins, und STEUP, Matthias. The Analysis of Knowledge. In: ZALTA, Edward N. The Stanford Encyclopedia of Philosophy. Stanford 2014.
  • KOGGE, Werner. Verkörperung – Embodiment – Körperwissen: Eine historisch-systematische Kartierung. In: RENGER, Almut, und WULF, Christoph (Hrsg.). Körperwissen: Transfer und Innovation (Paragrana: Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie 25, 1). Berlin 2016, S. 33–48.
  • RITTER, Joachim. Artikel ‘Wissen’. In: Ritter, Joachim (Hg.). Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 12. Basel 1972.

Zitiervorschlag

Werner Kogge, „Wissen“, Version 1.0, Freitag, 6. Januar 2017, ORGANON terminology toolbox, Berlin: eDoc-Server der Freien Universität Berlin.

  • ORGANON terminology toolbox (von gr. ὄργανον: Werkzeug) ist ein Instrument zur Orientierung in der Landschaft interdisziplinär relevanter Begriffe und Theorien. Mit wenigen Blicken finden Sie hier einen Überblick über relevante Diskurse, Grundlagentexte und weiterführende Links.

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